Gute Kinder, böse Kinder

Wie schon das Beispiel von Joan Crawford zeigt, können Mütter mit Borderline ihre Kinder sehr unterschiedlich behandeln. Dies hängt von den mütterlichen Projektionen ab.

Egal ob "gutes" oder "böses" Kind - beide Erfahrungskomplexe haben viele Nachteile und Besonderheiten. 

Das "böse" Kind wird herabgesetzt, das "gute" Kind wird parentifiziert.
Die unterschiedlichen Beziehungen der Geschwister zu der Mutter sorgen möglicherweise bereits schon im Kinder- und Jugendalter für Konflikte unter den Geschwistern, treten aber spätestens im Erwachsenenalter auf, da ihre Erfahrungen innerhalb der Familie völlig unterschiedlich sein können.

Aus bisherigen Beobachtungen ergibt sich das Bild, das Töchter eher die "bösen" Kinder sind, und Söhne eher die "guten" Kinder.
Es gibt aber auch die Konstellationen, das die älteren Kinder die "bösen" Kinder sind, und die jüngeren die "guten" oder umgekehrt.
Die Zuschreibungen und Projektionen der Mütter mit Borderline können sich zudem ändern oder wechseln, besonders wenn sich die gesamte Familienkonstellation ändert (Geburt, Auszug, Heirat) oder die Kinder gleichen Geschlechts sind.


"Gute" Kinder
Die Mutter sucht in dem "guten" Kind die Symbiose, ein Ersatzleben, eine Vertrauensperson, eine/n Verbündete/n, eine Freundin/einen Freund.
Das Kind ist die Verlängerung des eigenen Selbst der Mutter. Dies kann u. a. zur Parentifizierung (Umkehrung der Eltern-Kind-Rollen) und schwierigen Bedingungen zur Identitätsbildung bei dem Kind (Konkurrenz, kein altersgerechtes Verhalten) führen.
Das Kind wird nicht als eigenständige Person gesehen, sondern erfüllt einen Zweck.
Das "gute" Kind muss für die Befriedigung der Bedürfnisse der Mutter herhalten (narzisstische Züge, Muttertyp: "Königin"), zum Beispiel ihren Status präsentieren (durch vorgeschriebene Kleidung; "Mein Kind studiert").
Auf das Kind werden scheinbar fürsorgliche Projizierungen vorgenommen.
Das "gute" Kind erhält kaum Möglichkeiten für eigene Erfahrungen und kann normale Ablösungsprozesse kaum durchleben. Dies kann auch durch die Übertragung der Ängste der Mutter auf das Kind eintreten (Muttertypen: "verwahrlostes Kind" und "Einsiedlerin").
"Gute" Kinder nehmen gegenüber der Mutter eine loyale, beschützende, verteidigende, später als Erwachsene mitunter auch eine co-abhängige Haltung ein. Sie wollen ihre Mutter möglichst retten und heilen. Sie halten die konfliktbeladene Beziehung zu der Mutter meistens um jeden Preis aufrecht.
Sie reproduzieren in ihrem weiteren Leben oft die Verhaltensweisen, die sich in ihrer Kindheit im Umgang mit der Mutter bewährt haben, wie Angepasstheit, "Unsichtbarkeit", Passivität, Folgsamkeit, Bedürfnislosigkeit. 
Sie unterdrücken die Wahrnehmung ihrer eigenen Bedürfnisse und echten Gefühle und sind, wenn sie Töchter sind, sehr mit dem emotionalen Zustand anderer Menschen beschäftigt. 
Sie können Schuldgefühle empfinden gegenüber ihren Geschwistern, die die "bösen" Kinder waren/sind.
Sie neigen zu gewissenhaftem, leistungsbetonten Verhalten und scheuen Fehler.
Eigene Erfolge können sie nicht gut genießen und würdigen.
Die Nicht-Spiegelung der Mutter in den ersten Lebensjahren des Kindes kann wiederum zu einer Borderline-Persönlichkeitsstörung bei dem Kind führen. Dieses (erwachsene) Kind wird seine Mutter weiterhin idealisieren. 


"Böse" Kinder
Sie übernehmen den projizierten Hass ihrer Mutter (Muttertyp: Hexe) als Selbsthass ODER sie versuchen ihr Leben lang, gut zu sein bzw. Gutes zu tun.
Ihre traumatische Sozialisation (oft ein Kampf ums überleben) hat Folgen in all ihren Lebensbereichen.
Sie leiden psychisch oft an Traumafolgeerkrankungen wie Komplexe Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS), Borderline Persönlichkeitsstörung oder Dissoziative Identitätsstörung (DIS). 
"Es ist nur eine Frage der Zeit, bis die "nur böse" Tochter einer Borderline-Mutter selbst eine Borderline-Mutter ist." (Christine Ann Lawson in "Borderline-Mütter und ihre Kinder", 4. Auflage 2011, S. 152.)
Sie befinden sich oft in einer isolierten Position im gesamten Verwandtschaftssystem und haben den Kontakt zu der Mutter meistens abgebrochen.
Seitens der "guten" Kinder wird ihnen als Erwachsene die Vernachlässigung der alt gewordenen Mutter vorgeworfen.



"Keine Mutter entscheidet sich bewusst dafür, ein Kind mehr zu lieben als ein anderes."


Christine Ann Lawson

   



© Jana Reich www.borderline-muetter.de 2013-04-05