In diesem Zusammenhang bedeutet Co-Abhängigkeit folgendes:
Nicht selten besteht bei den Menschen im Umfeld von Menschen mit Borderline eine "Co-Abhängigkeit", das bedeutet, die Partnerinnen bzw. Partner, FreundInnen oder Eltern praktizieren Verhaltensmuster, die verhindern, dass die/ der Erkrankte erfolgreich behandelt werden kann.
Co-abhängige Menschen erkennen durch die von der Borderlinerin (unbewusst) ausgeübte Manipulation, emotionale Erpressung, Projektion und Beeinflussung nicht (mehr) deren destruktives Verhalten gegenüber sich selbst und gegenüber anderen Menschen.
Co-Abhängige spielen strapaziöse Ereignisse und psychische Verletzungen, die Menschen mit Borderline durch ihr unreflektiertes Ausagieren bei anderen Menschen hervorgerufen haben, herunter.
Co-Abhängige blenden die eigenen negativen Erlebnisse in ihrer Erinnerung aus und verdrängen sie.
Co-Abhängige sind auf eine Art süchtig nach dem bißchen Aufmerksamkeit und der Aufwertung und Idealisierung, die sie punktuell und willkürlich durch den (von ihnen geliebten) Menschen mit Borderline bekommen.
Co-Abhängige nehmen gegenüber dem Menschen mit Borderline eine "Ermöglicherrolle", eine "Retterfunktion" und gegenüber dem Umfeld eine Vermittlungs- oder Schlichtungsrolle ein. Dies bringt sie oft in eine isolierte Position, da nicht das ganze Umfeld das Ausagieren duldet.
Co-Abhängige verlieren ihre bisherigen Werte und Maßstäbe.
Co-Abhängige "sehen nicht (mehr) durch" in dem ganzen emotionalen Chaos um sie (und die Borderlinerin) herum.
Oft sind ihre persönlichen Grenzen durch permanente Grenzüberschreitungen bereits vor ihrer Beziehung zu einem Borderliner/einer Borderlinerin weit zu ihren Ungunsten verschoben worden, zum Beispiel in einer dysfunktionalen Herkunftsfamilie.
Sie haben in der Vergangenheit nicht gelernt, ihre eigenen Gefühle und Körpersignale zu erkennen und ihren zu vertrauen, können aber sehr wohl bei ihrem Gegenüber kleinste Gefühlsregungen wahnehmen.
Oder die Verhaltensmuster von BorderlinerInnen sind durch vergangene Erfahrungen bereits bekannt, erscheinen einem vertraut und werden als dysfunktionale Beziehung (un)bewusst neu rekonstruiert.
Für Co-Abhängigkeit sind Menschen anfällig, die eher konfliktvermeidend und harmoniesuchend sind, eigene Entscheidungen vermeiden, geliebt werden wollen, eher abhängig-passiv sind und helfende Eigenschaften haben. Sie definieren sich über die Wünsche, Erwartungen und Vorstellungen anderer Menschen, hauptsächlich aber von der Person, zu der sie co-abhängig sind. Anderen Menschen erscheinen sie in dieser Konstellation als passiv und unterwürfig.
Bei den co-abhängigen Menschen kann es zu diesen Folgen kommen:
- das eigene Denken und Leben dreht sich größtenteils um die Erkrankung der anderen Person, während diese ihre Erkrankung leugnet oder herunterspielt,
- jegliche Beziehungsarbeit leistet der Co-abhängige Mensch,
- Selbstverleugnung: Leugnung eigener Grenzen, eigener Gesundheitszustände und eigener Bedürfnisse,
- Selbstaufgabe,
- Isolation durch das Wegbrechen und aufgeben bisheriger Kontakte bzw.
die Abwendung des Freundeskreises bzw. anderer Familienmitglieder,
- Erschöpfung,
- das Gefühl permanenter Überforderung,
- Burn Out,
- (Selbst-)Vorwürfe und Selbstzweifel,
- fehlendes Selbstvertrauen und niedriges Selbstwertgefühl,
- das Nichterreichen von Bildungsabschlüssen,
- die Aufgabe eigener Pläne und Ziele, Werte, Moralvorstellungen, Wünsche und Bedürfnisse,
- die kritiklose, passive Übernahme fremder Pläne, Ziele, Wünsche und Bedürfnisse,
- Schwierigkeiten in anderen Bezügen wie Ausbildung, Arbeit, Wohnen, Finanzen (Verschuldung),
- Hilflosigkeit,
- Lustlosigkeit und Traurigkeit,
- Wut und Hass
- psychosomatische Schmerzen (Magenschmerzen, Übelkeit, Kopfschmerzen, Schwindel, Tinnitus, Schlaflosigkeit, Depressionen, Fibromyalgie etc.),
- psychische Erkrankungen wie Angststörungen, Essstörungen,
- andere Erkrankungen wie Hauterkrankungern, Autoimmunerkrankungen.
Besteht Co-Abhängigkeit bei der Partnerin/ dem Partner bzw.
dem zweiten Elternteil (aus Sicht des Kindes), so kann dies für das Kind bedeuten:
- das es adäquates Verhalten in der Familie nicht erlernen kann;
- das das Kind den instabilen Verhältnissen geopfert wird;
- das das Kind keinen wissenden Zeugen bzw. keine wissende Zeugin hat;
- das das Kind psychische u. a. Gewalt erlebt.
Die Muster der Co-Abhängigkeit lassen sich mit Unterstützung (z. B. in einer Psychotherapie, im Austausch in Foren und in Selbsthilfegruppen) erkennen und ändern.
Wichtige Stichworte hierzu sind der eigene SelbstWERT, die Erkennung eigener Bedürfnisse und der eigenen Grenzen sowie das eigene ICH zu kennen, zu schützen und zu bewahren. Sowie deutliche Grenzsetzungen und keine psychischen und körperlichen Verletzungen zu dulden.
Hinter der Co-Abhängigkeit kann auch eine dependente Persönlichkeitsstörung / abhängige Persönlichkeitsstörung (F 60.7) stecken.
Das ist die Komplementärstörung zu der Borderline-Persönlichkeitsstörung.
Links:
- Die dependente Störung
- Dependente und Borderliner/innen
- Selbstfragen zur dependenten Störung
- Tipps für Betroffene der dependenten Störung
- In dem Film "Fähner" (Erstausstrahlung ZDF 07. April 2013) wird ein Beispiel von Co-Abhängigkeit dokumentiert. Nach einer wahren Geschichte von Ferdinand von Schirach. Leseprobe (April 2013).
© Jana Reich, www.borderline-muetter.de, 2013-06-19
Der Newsletter erscheint ca. zweimal im Jahr.